Was ich nicht verstehen kann

[Leila Stern]

In jenem Strang wurde auf das Schaffen des Photographen Robert Doisneau hingewiesen. In diesem Strang weise ich aufs Schaffen des Photographen August Sanders hin (womöglich mit einiger Verspätung).

Nein, das führt zu nichts! – Ich fange nochmals von vorne an.

Julian Sander, der Urenkel August Sanders, zeigte eine Postkarte, auf der ein zu sehen ist.

Dessen Verkaufspreisangaben lauteten:

Postkarte: 1 bis 1,5 €
Abzug seines Vaters: 10'000 €
Abzug seines Großvaters: 265'000 US$
Abzug seines Urgroßvaters: 1'000'000 €

Das verstehe ich nicht!

Ich gestehe freimütig, eine arme Kunsthistorikerin zu sein, die bis heute nur für die Schublade schrieb (um sich selbst und ihre Kinder und Kindeskinder nicht in Verruf zu bringen).

Gruß von Leila

 

[LikeLowLight]

Das verstehe ich nicht!

Das verstehe nun ich nicht. Gerade Dir als Kunsthistorikerin sollte doch klar sein, dass Objekte keinen objektiven Wert haben. Solche Dinge können heute extreme Verkaufspreise erzielen, die sich nicht unbedingt beliebig wiederholen lassen. Schon im nächsten Jahr können sie unverkäuflich sein, in hundert Jahren vergessen und für niemanden interessant. Das gilt ja nicht nur für alte Objekte, viele neuen Produkte können in der Gegenwart fast unverkäuflich sein, ein paar Jahre später von Meinungsmachern "entdeckt" und zu horrenden Preisen verkauft und gekauft werden.
Kunstobjekte unterliegen ausschließlich Bewertungen und diese folgen Mode und Zeitgeist. Der Wert fällt mit der Häufigkeit der vorhandenen Stückzahlen. Wäre die Mona Lisa heute entstanden und wäre sie als freier Download erhältlich und damit millionenfach in voller Auflösung auf jedem zweiten Computer als Wallpaper installiert, würde sie nicht diesen Wert haben, würden nicht zigtausende nach Paris pilgern um dann von einer Menge an einem Bild vorbeigeschoben zu werden.
Wenn es also alte Fotos zu hohen Preisen gibt, so kann es Leute geben, die den Preis zahlen werden oder auch nicht. Der Preis sagt jedoch nichts über die Qualität eines Bilds aus, er ist beliebig. Wenn Du den Wert eines Objekts an dem erzielten Verkaufspreis misst, dann bin ich nicht bei Dir. Und Verkaufspreise haben mich noch nie beeindruckt, doch ich bin auch nicht an einem Glitzeranzug von Elvis interessiert.

 

[herbiemaus]

... doch ich bin auch nicht an einem Glitzeranzug von Elvis interessiert.

Apropos: Eine Unterbuxe von Eva Braun ist am Wochenende in England für umgerechnet 3.250 Euro versteigert worden. So ist das nun mal mit Liebhaberpreisen ...

 

[Leila Stern]

Lieber LikeLowLight,

empfange mein herzliches Dankeschön für Deine ausführliche Antwort!

Ich schreibe hier (und auch anderswo) nicht als Moralistin, sondern als eine, die verstehen will, was sie nicht verstehen kann.

Die pekuniäre Bewertung von Kunstwerken liegt z.Z. im Mittelpunkt meiner Interessen; und die in der deutschen Wikipedia zu sehende „Liste der teuersten Gemälde“ brachte mich ins Grübeln.

Gruß von Leila

 

[Panta rhei]

Was gibt es denn da nicht zu verstehen?
Eine so knappe wie kluge Erklärung besagt, dass etwas immer genau so viel wert ist, wie jemand bereit ist, dafür zu bezahlen.

Da kann ein Bildchen dann mit noch so vielen Fantastillionen bewertet sein..., es sind rein fiktive Werte.
So lange sich niemand findet, der entsprechendes Geld dafür zu bezahlen bereit ist, ist es faktisch absolut NICHTS wert - und in die andere Richtung (und für grundsätzlich jede Kaufware) funktioniert das Spiel genauso.

 

[LikeLowLight]

die verstehen will, was sie nicht verstehen kann.

Wer kann irrationale Beweggründe und Handlungen verstehen? Ich verweise da auf eine Stelle in einem Donna-Leon-Roman, in dem sie sinngemäß einen Protagonisten sagen lässt, dass Sammler meinen, dass ein Objekt, das sie kaufen, ihr Besitz wäre. Doch wenn sie früher oder später die Welt verlassen, was ja bekanntlich jedem passiert, bleibt das Objekt immer noch auf der Welt.

Ergänzung:
Da damit ein Thema angeschnitten wurde, über das man lange und detailreich diskutieren kann, möchte ich noch folgende Frage an Dich richten. Ich weiß zwar nicht, welche Bereiche der Kunstgeschichte Du tatsächlich bearbeitest, doch Grundsätzliches solltest Du jedenfalls klären können.
Was ist überhaupt Kunst, wer definiert, was Kunst ist und was nicht?

 

[Leila Stern]

[…] Da damit ein Thema angeschnitten wurde, über das man lange und detailreich diskutieren kann, möchte ich noch folgende Frage an Dich richten. Ich weiß zwar nicht, welche Bereiche der Kunstgeschichte Du tatsächlich bearbeitest, doch Grundsätzliches solltest Du jedenfalls klären können.

Was ist überhaupt Kunst, wer definiert, was Kunst ist und was nicht?

Nur eine Deiner Fragen kann ich beantworten: Ich beschäftige mich schon seit Jahrzehnten mit dem Baustil der Romanik. – Aber davon soll in diesem Strang nicht die Rede sein. Was mich wundernimmt, formulierte ich bereits als Aussage meines Unverständnisses. – Mir leuchtet beim besten Willen nicht ein, daß die Photographie eines Bäckers eine Million Euro wert sein soll (wenn man sie als Reproduktion für einen Euro kaufen kann).

Gruß von Leila

 

[derwerner]

So wie angeblich die Schönheit, liegt auch der Wert eines Fotos im Auge des Betrachters. Wenn ich meinem Heimatverein ein Foto für ein "Dankeschön" und ein Bier zur Verfügung stelle, habe ich nichts dagegen, wenn ich von einem Buchverlag trotzdem ein paar Hunderter dafür bekomme. - So ist das halt mit der Kunst ;-)

 

[virra]

Mir leuchtet beim besten Willen nicht ein, daß die Photographie eines Bäckers eine Million Euro wert sein soll (wenn man sie als Reproduktion für einen Euro kaufen kann).

Der Preis sagt ja nicht mal was darüber aus, ob es KUNST ist, geschweige denn, ob es GUTE Kunst ist. Alles Definitionssache. Ich empfehle dir mal:
http://www.ephraimkishon.de/theaterstueck_zieh_den_stecker_raus.htm
Wurde auch verfilmt, gar nicht übel, wie ich finde.

Und hier noch ein Link zum allerteuersten Foto überhaupt (oder so, gibt ja vielleicht inzwischen eines, welches noch teurer ist und da ist noch weniger drauf):
http://www.stilpirat.de/das-teuerste-foto-der-welt-andreas-gursky-rhein-ii/

(Dagegen ist sein Bild 99 cent mit 2.26 Millionen $ geradezu ein Schnäppchen, wenn man das Geld auf die Anzahl der dargestellten Dinge umlegt …
http://www.andreasgursky.com/de/werke/1999/99-cent/zoom:1)

Schöne Reproduktionen kriegste übrigens auch von anderen Bildern, für mehr als 1€, dafür aber kannste das Format auch selber bestimmen:
http://www.kunstkopie.de/a/caravaggio-michelangelo/der-unglaeubige-thomas.html

Oder du legst noch bissl was drauf und kannst es sogar handgemalt in Öl bekommen:
http://www.oel-bild.de/en/The-Incredulity-of-Saint-Thomas~6541.htm

Davon wird das Original in Potsdam auch nicht weniger wert.

 

[LikeLowLight]

daß die Photographie eines Bäckers eine Million Euro wert sein soll

Meiner Meinung nach hast Du einen Denkfehler. Die Photographie ist nicht 1 Million Euro wert (wert im Sinne von materiell oder immateriell wertvoll), es kann nur sein, dass jemand bereit ist, dafür eine Million zu zahlen. Dass eine Reproduktion eben ein Abbild ist, ist auch klar. Wenn es Maler gibt, die Originalmalereien so kopieren können, dass sie vom Original fast nicht zu unterscheiden sind stellt sich die Frage, warum für das Original extrem viel bezahlt wird, für die Kopie jedoch kaum etwas. Das alles ist eine Frage der Gesellschaft oder einzelner die bereits sind, für etwas viel Geld auszugeben. Wenn Du nicht so tickst, wirst Du es nie verstehen, ich auch nicht. Darum meinte ich eben, dass Du etwas irrationales rational erklärt haben willst. Das geht nicht, das können zwar manche wortreich umschreiben und vernebeln, doch tatsächlich können sie es nicht. So wie niemand absolut behaupten kann, dass etwas Kunst ist. Du brauchst ja nur zu schauen, wie die Wertehaltung gegenüber "Künstlern" sich im Lauf der Zeit verändert hat, sie wird sich auch zukünftig ändern. Möglicherweise werden die wenigen modernen "Kunstwerke", die die nächsten paar hundert Jahre überstehen, sehr geschätzt sein, denn wegen der verwendeten Materialien und der Unzahl an vergänglichen Objekten wird eine Aufbewahrung nicht so einfach sein. Da werden dann Künstler der Vergangenheit hochgelobt werden, nur weil eben mehr oder wenig zufällig ihre Werke die Zeit überdauert haben. Oder es kann auch ganz anders kommen, Du weißt ja wie unsicher Prognosen sind.

 

[virra]

Möglicherweise werden die wenigen modernen "Kunstwerke", die die nächsten paar hundert Jahre überstehen, sehr geschätzt sein, denn wegen der verwendeten Materialien

Oder die werden wegen der verwendeten Materialien einfach recycelt, weil eh’ kein Mensch mehr denkt, dass das Kunst ist …

 

[herbiemaus]

Mir leuchtet beim besten Willen nicht ein, daß die Photographie eines Bäckers eine Million Euro wert sein soll (wenn man sie als Reproduktion für einen Euro kaufen kann).

Die Mona Lisa gibt es im Museums-Shop als Postkarte auch für zweifuffzich ...