AW: Bridge-Kamera vs. DSLR
Soweit ich das höre, liegt es auch an den Motiven. Du erwähnst ein Karibik-Bild, das vermutlich so richtig TUI-Katalog-artig aussieht. Wahrscheinlich weil der Himmel blau war, das Meer klar, der Sand weiß etc. Solche Bilder macht meine Frau (nicht Fotografin, einfach Touristin) mit ihrer Mini-Cam auch. Wahrscheinlich werden die Bilder in einer so perfekten Kulisse sogar mit dem iPhone, ach was - sogar mit der VGA-Cam vom Siemens m45 - ganz gut.
Denn: bei einem solchen Motiv brauchen weder Kamera noch Fotograf kaum was zu können. Und ausgerechnet himmelsblau fein zu JPGen schafft natürlich auch jede Consumer-Knipse heute super - das ist doch gerade in dem Marktsegment einer der völlig logischen Haupttestfälle: Tourismus, Sonnenschein, Rasen, Kindergeburtstag, Familie beieinander.
Was sollte Deine DSLR bei so einem Motiv auch besser machen als eine Digicam? Selbst in der Auflösung (wenn beide so um 8 -12 MPixel liegen) hast Du keinen Vorteil. Wegen endlos Licht und Sonne wird auch die Digicam nicht rauschen und den ISO-Wert hochjubeln. Hier ist die Erwartung nicht ganz richtig: eine DSLR macht natürlich nicht immer jedes Bild von jeden Motiv automatisch besser als eine günstige Kamera. Eher wird doch den Cams in Tests vorgeworfen, dass Himmel zu blau, Gesichter zu satt werden etc. Würde Canon an dieser Schraube drehen, kämen doch nur künstliche Bilder bei raus. Mehr als fehlerfrei, scharf und vielleicht etwas überfröhlich ablichten geht dort nunmal nicht.
Wie erwähnt ist eine DSLR eher eine Werkzeugkiste, während eine Digicam so etwas wie ein prima Schweizermesser ist (sowas meist Braun-Rotes mit Klapp-Nagelfeile, -messer, -schraubendreher etc.). Solange der Testfall "ein Apfel schälen" ist, kriegst Du mit dem schneidigen Zwilling-Profi-Teppichmesser den Apfel leidlich gepellt und mit dem Schweizermesser auch. Ergebnis: der Apfel schmeckt beide Male gleich. Bau mal mit dem Schweizermesser ein Gartenhaus zusammen - dann merkst Du eben viel besser, was ein ergonomischer Griff, verschiedene Schraubendreher-Größen etc. in einer prallen Werkzeugkiste wert sind. Der Anwendungsfall macht den Wert.
Zurück zum Kamera-Problem - Motive, bei denen das Werkzeug DSLR langsam Berechtigung bekommt:
- macht doch mal Portraits von Euch: Abstand zur weißen Wand hinter Euch nur 1 bis 2m. Erwartung natürlich: Person vorne knackscharf, Hintergrund absolut weich - keine Raufaser-Pöppel mehr etc. Das dürfte den Sensorunterschied schon hervorbringen. Das Freistellen hängt nämlich physikalisch bedingt an Objekt und Sensorgröße.
- nimm Dir ein Makro-Objektiv (ja! Dein Werkzeug kann Objektive wechseln!) oder einen Umkehrring und nimm Dein Kit-Objektiv falsch rum an die Kamera. Dann nehmt Euch eine tote Fliege vom Fensterbrett und zählt mal nach, wieviel Finger Eure Fliege hat. Da wüßte ich gerne, wie man das mit einer Bridge-Cam macht. Klar: Wechselobjektive zählen dazu. Im Standardumfang liefert Canon zunächst etwas mit, damit man überhaupt Bilder machen kann. Das Standard-Kit ist bekanntlich weder ein Makro, noch ein Zoomweltmeister (da können manche Bridges nunmal wirklich weiter, wenn Weite das Kriterium sein soll), noch ein besonderer Schärfenriese. Aber *Du* kannst es wechseln. In einer Bridge ist der Auslieferungszustand der Endzustand. Ein Feature wird das aber eben erst, *wenn* Du es wechselst.
- Häng Dir einen Grau- oder Polfilter vor Dein Objektiv und geht nachts auf eine Brücke einer Stadtautobahn. Du hast nun die Chance einer immens langen Belichtungszeit (Bulb-Modus) und kannst dem Verkehr z.B. 20 Minuten lang ablichten. Du bekommst damit diese schönen "Lichtadern" einer Stadt oder Straße bei Nacht. Ich vermute, dass auch dies bei einer Bridge schwerer zu steuern ist, wenn es überhaupt geht.
Solche etwas aufwändigeren und auch zubehör-intensiveren Sachen machen den Unterschied erst aus. Wenn jemand gar nicht so kompositorisch sondern - sagen wir mal - eher spaziergängerisch arbeitet, ist eine Bridge übrigens keine schlechte Wahl. Das meine ich ohne Spott. Nicht jeder wirklich interessierte Städtereisende will ein Riesenfotograf sein. So wie für meine Frau auch eine kleine Schönwetter-Digicam richtig ist. Ein größerer Sensor oder sonstige "Datenblatt"-Features sind nicht immer für jeden richtig. Nicht zuletzt: ein kleineres überschaubareres Werkzeug hat den klaren Vorteil, dass man aufgrund der geringeren Möglichkeiten sein Gerät wirklich schneller virtuous beherrschen kann. Vielleicht ist Dein Kumpel mit seiner handvoll Funktionen so behändig, dass er das Technische im Schlaf macht und sich mehr auf die Komposition konzentrieren kann.