Es hat wohl schon jeder mal irgendwo gelesen, dass eine Festbrennweite von 50 mm auf einer Cropkamera (d.h. eine mit „Brennweitenverlängerung“, „anderer effektiver Brennweite“, …) zu einem Teleobjektiv von ca. 75 mm wird. Das ist wenig sinnvoll (bis falsch), sowohl aus fotographischer, wie auch aus physikalischer Sicht.
Leider wurde im Deutschen für Cropkameras eine unpassende Begrifflichkeit eingeführt, die der „Brennweitenverlängerung“. Sogar im Handbuch meiner Kamera steht, dass man die Brennweiten der Objektive mit 1,5 multiplizieren muss, um zu einer äquivalenten Brennweite einer Kleinbildkamera (35-mm-Film, „der normale Film“ eben) zu gelangen. Der englische Begriff „Crop“ (wörtl. „stutzen“) trifft das Phänomen dabei viel besser: Schraubt man ein normales Objektiv auf eine Cropkamera, wird einfach nur die Bildmitte aufgenommen, und der Rand des Bildes, welcher auf 35-mm-Film noch Platz gefunden hätte, einfach verworfen. Das ist das gleiche, wie wenn man einfach die Ränder des Films mit Kreppband abkleben würde. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was das mit der Brennweite zu tun hat, schließlich ist in meiner Abklebe-Erklärung überhaupt keine Rede von irgendwelchen optischen Größen. Die Antwort ist simpel: Die Form des Sensors hat keinerlei Auswirkungen auf die Brennweite. Ein 50-mm-Objektiv bleibt immer ein 50-mm-Objektiv, völlig egal auf welche Kamera man es schraubt, selbst wenn deren Sensor dreieckig und groß wie ein Auto ist.
Wenn jetzt natürlich das halbe Bild ohnehin nicht auf dem Sensor landet, ist es natürlich wirtschaftlicher, die Objektive einfach kompakter zu bauen. Das spart Rechenzeit (da bei der Entwicklung die Optiken nur in einem kleineren Bildkreis korrigiert werden müssen) und Material. Bei Nikon werden solche Objektive mit „DX“ bezeichnet. (Auf eine Kleinbildkamera geschraubt fehlt natürlich der Rand; das Bild ist dann kreisförmig oder zumindest stark vignettiert.)
Bleibt noch die Frage, was „die 1,5“ (für Nikon; andere Hersteller haben andere Sensorgrößen, ergo andere Cropfaktoren) dann noch sollen. Nun ja, wenn ein Bild beschnitten wurde, und man es wieder auf Normalgröße vergrößert, dann erweckt es natürlich den Anschein, dass hereingezoomt wurde. Wie schon beschrieben, sind die optischen Eigenschaften aber völlig unverändert geblieben. Man hätte ebenso statt „Brennweitenverlängerung“ einen Begriff wie „Rückwärts-Lauf-Faktor“ einführen können, denn ein Schritt rückwärts vergrößert das Bild schließlich auch in ähnlicher Weise.
Rückwärts laufen ist wohl auch genau das, was man in der Praxis am häufigsten machen wird, und da kommt ein neues Phänomen dazu: Die fokussierte Distanz. Will man den gleichen Bildausschnitt mit einer Vollformat- und einer Cropkamera aufnehmen, muss man bei der Cropkamera nach hinten gehen und dann natürlich auch den Fokus auf eine größere Entfernung einstellen, um das Hauptobjekt scharf zu bekommen. Jetzt ist die Fokussierung aber längst nicht linear, d.h. ihr Verhalten ändert sich je nach fokussierter Distanz. Ein auf 2 m eingestelltes Objektiv hat z.B. bei einer bestimmten Blende Schärfentiefe von 1,5 bis 3 m, während bei Fokussierung auf 5 ein weit größerer Bereich scharf wird (sagen wir mal 4-8 m). Das Crop-Objektiv muss auf eine größere Distanz fokussieren (da man ja weiter hinten steht), ergo steigt auch die Schärfentiefe. Die Brennweitenverlängerung erhöht aber scheinbar die Brennweite, was seinerseits zu einer Verringerung Schärfentiefe führen müsste – mit der Schärfentiefe macht der Crop-Faktor also das blanke Gegenteil von dem, was in der Realität passiert!
Nächster Punkt: Die Blendenzahl des Objektivs müsste sich ändern. „Blendenzahl“ bezeichnet das Verhältnis von Brennweite zu Blendenöffnung (wie weit das Loch im Objektiv ist), bezeichnet z.B. durch „f/5.6“ oder „1:5.6“. Hat schon mal jemand von einem Blendenvergrößerungs-Faktor gelesen? Den gibt es genausowenig wie es eine Brennweitenverlängerung geben sollte.
Blöderweise gibt es keine sinnvolle Beschreibung des Crop-Phänomens, die sich korrekt in einen einfachen Faktor zusammenfassen lässt, und da der Großteil der Konsumenten ihre 1000-Euro-DSLR nicht anders benutzen als eine Point'n'Shoot-Kamera, interessiert es auch niemanden wirklich, wie das jetzt tatsächlich mit der Brennweite ist. Der Einfachheit halber hält sich so der Begriff der Brennweitenverlängerung wohl noch bis zu dem Zeitpunkt, an dem alle Kameras Kleinbild-Sensoren haben – und das wird noch viele Jahre dauern.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:
* Die Brennweite des Objektivs ist völlig unabhängig von allem außer der Bauart des Objektivs. Verschiedene Kameras haben keinerlei Einfluss.
* Bei gleichem Bildausschnitt haben Crop-Kameras eine höhere Schärfentiefe als Kleinbildkameras. Das ist genau das Gegenteil von dem, was eine „Brennweitenverlängerung“ verursachen sollte.
* Es gibt keinen leicht verständlichen Crop-Faktor. Es ist leichter die optische Theorie zu lernen, als das Phänomen ordentlich und allgemeinverständlich zu beschreiben.
Ich hoffe, dass ich alles Relevante klären konnte; zum Abschluss möchte ich noch das konkrete Beispiel aus der Einleitung aufschlüsseln: das 50-mm-Objektiv, das auf einer Cropkamera zu einem 75-mm-Portrait-Objektiv wird. Nun, was macht ein Portraitobjektiv aus? Hauptsächlich zwei Dinge: Die Schärfentiefe, und das Größenverhältnis unterschiedlich weit entfernter Dinge im Bild. Die Schärfentiefe wird beim zurücklaufen kleiner, also „weniger standard-portrait-artig“; das Größenverhältnis bleit fast konstant, wirklich drastische Auswirkungen hat dieser Aspekt nur bei sehr extremen Brennweiten (Tele: Alles zusammengestaucht, Weitwinkel: Vordergrund sticht extrem hervor), bei 50/75 mm ist er in der Praxis nicht bemerkbar. Fazit: Es verschieben sich die optischen Eigenschaften der Kamera, aber nicht in die gleiche Richtung. Das Objektiv wird nicht mehr Tele, mehr Weitwinkel oder mehr irgendwas. Es ändert sich der Sensor, hört auf die Auswirkungen irgendwie ins Objektiv packen zu wollen.