AW: Plakat Armutsschere
es kommt drauf an, was du mit deinem plakat erreichen willst.
willst du anklagen, einmal die große moralkeule schwingen, um dann anschließend festzustellen, dass keiner mehr da ist, der dir zuhört oder willst du etwas verändern?
wer soll etwas verändern und was? soll jemand (du vielleicht?) der frau eine suppe bringen, ihr eine wohnung besorgen, ihr beibringen, wie man regelmäßig seine miete bezahlt oder wenn sie das nicht auf die reihe kriegt, ihr einen betreuer besorgen? also was soll das plakat konkret bewirken?
in der jetzigen form ist das plakat einfach nur eine anklage an alle, denen es materiell gesehen besser geht als dieser frau und das dürften recht viele sein. so wie es aussieht lebt selbst ein hartz4-empfänger in besseren verhältnissen, da er im warmen unter einem weihnachtsbaum sitzen kann.
die frage ist aber auch, was hat die frau dazu getan, dass sie in dieser situation ist und was tut sie jeden tag aufs neue dazu? in der berliner friedrichstraße steht seit monaten einer mit einem schild und beklagt sich darüber, dass er durch behördenwillkür obdachlos geworden sei. wenn er die zeit, die er mit anklagen verschwendet hat (selbst tagsüber, also zu den öffnungszeiten der ämter), damit verbracht hätte, etwas zu tun, dann hätte sich wahrscheinlich mehr in seinem leben verändert als über das bloße anklagen des verhaltens anderer.
könnte es sein, dass ein mensch wie diese frau, so mitleiderregend wie das bild vielleicht aussehen mag, auch eine eigenverantwortung dafür hat, selbst etwas an ihrer situation zu ändern? in dem zusammenhang empfehle ich den film das streben nach glück mit will smith, nach einer wahren begebenheit. der mann hätte reichlich anlass gehabt im jammern stecken zu bleiben. von der frau verlassen, afroamerikaner usw. stattdessen hat er geschaut, was er aus seiner situation, so wie sie nun mal ist, etwas machen kann. und wenn im obdachlosenwohnheim, in dem ich umständehalber unterkommen muss, um zehn das licht ausgedreht wird und ich will noch für ein bestimmtes ziel lernen, dann stell ich mich eben in auf den stuhl zum oberlicht. das ist eigenverantwortung, jammern über meine situation und anklagen, wer alles, meiner meinung nach "schuld" daran ist, ist es nicht.
wo kommt überhaupt dieses wort schuld her? schuld ist die moralisch beladene schwester der verantwortung. ich übernehme verantwortung für mein leben, meine emotionen und meine handlungen und, soweit mir das als einzelperson möglich ist, für das anderer, durch mein verhalten z.b. durch das, was ich kaufe, wem ich zuhöre etc.
es könnte sich lohnen, sich mal mit der gewaltfreien kommunikation nach rosenberg zu beschäftigen (z.b. wikipedia), in der es genau darum geht. jeder übernimmt verantwortung für sich und verzichtet darauf, "schuld" in form von du-botschaften auf andere abzuwälzen. das abwälzen ist auch immens einfacher als selbst zu handeln.
ähnlich formuliert es auch johannes 23. in seinem dekalog der gelassenheit "Nur für heute werde ich große Sorgfalt in mein Auftreten legen: vornehm in meinem Verhalten; ich werde niemand kritisieren, ja ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern - nur mich selbst."
hast du mit dieser frau gesprochen oder sind die worte deine empfindungen, die du dieser frau in den mund legst. weiß du wirklich, wie es dieser frau geht? weißt du, ob sie nicht gerade eine wichtige erfahrung macht? es kann jedem passieren, dass er mal aus dem tritt gerät. der partner verlässt einen, man verliert den sicher geglaubten job etc. schon mancher ehemalige manager hat sich auf der straße wiedergefungen. aber, wie winston churchill mal so treffend formuliert hat "die kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man hingefallen ist". danach ist man mit sicherheit reifer und innerlich reicher als vorher. neale donald walsch, ein von mir geschätzter autor, war ein jahr lang obdachlos, bevor er seine bestseller geschrieben hat. insofern ist diese bild nur eine momentaufnahme.
mir persönlich sind leute mit gebrochenen lebensläufen lieber als solche, die auf festen bahnen von der ausbildung bis zur rente fahren und meinen, das leben müsste immer so schön bequem sein, es gäbe quasi ein menschenrecht auf gemütlichkeit und zwei flugreisen im jahr.
das andere ist, dass man einen umgang mit der tatsache finden muss, dass es einem besser geht (zumindest hat es den anschein) als vielen anderen auf dieser welt.
womit hab ich das überhaupt verdient?
darauf hab ich bis heute noch keine antwort gefunden.
insofern bleibt mir nichts anderes übrig als dankbar zu sein und das zu machen, was in meiner macht steht.